Ökumene des Lächelns

Die Maskenpflicht verhindert bestimmt viele Infektionen, aber sie behindert auch das nach dem Blickkontakt wichtigste Signal für den Aufbau menschlicher Bindungen: das Lächeln. Die Augen reichen nicht aus, um Sympathie und Freundlichkeit auszudrücken; und es ist ein wichtiger Einschnitt in der Sozialentwicklung eines kleinen Säuglings, wenn er jemand anlächelt.

Allerdings kann man auch jemanden belächeln. Oft, wenn man ein bestimmtes Verhalten für das Alter oder den Anlass als nicht  adäquat erachtet. Und das geht schnell. Schnell ist man mit einem Vorurteil zur Stelle, zuerst nur gedanklich, dann aber zeigt es sich in der Mimik-

Mir ging es neulich so bei der Gebetsaktion „Deutschland betet gemeinsam“. Da wurden Repräsentanten der unterschiedlichen christlichen Kirchen in Deutschland gezeigt, und sie gaben ein kurzes Statement ab und beteten.

Und da wurde der rumänisch-orthodoxe Metropolit für Deutschland gezeigt, umrahmt von vielen prächtigen, bemalten Ostereiern im Hintergrund, und ich musste schmunzeln, ohne zu bedenken, welchen überragenden Stellenwert das Osterfest bei den Orthodoxen einnimmt und welche Symbolkraft das Ei hat, dessen Bemalung eine lange, hoch entwickelte Kultur aufweist. Aber ich habe es ein wenig belächelt. Es erschien mir ein bisschen kindlich.

Noch stärker war mein Erstaunen, als ich einmal in der Heilig-Grab-Kirche in Jerusalem sah, wie sich eine Frau direkt auf den sogenannten Salbungsstein legte; also die reine Berührung, zu der wir uns westlichen Reisenden entschlossen hatten, reichte ihr offenbar nicht. Und wir belächelten sie, ja, manche aus der Gruppe unterdrückten geradezu ihr Lachen.

Und dann aber in den Tiefen der Kirche die orthodoxen Nonnen, die sich bis auf den Boden bücken, die Erde mit der ganzen Hand berühren und sich dann damit bekreuzigen, alles in Stille und großer in Ehrfurcht.

Wir konnten da nur staunen, bestenfalls berührten wir den Felsen auf Golgotha oder die Platte im heiligen Grab.

Die Frage stellt sich: Was ist biblisch?

Einerseits sagt Jesus in Joh 4, 24 auf die Frage, wo der richtige Platz der Anbetung Gottes sei, „Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten“, also, so kann man schließen, sind Orte und Bräuche nicht wichtig, andererseits betont er die Bedeutung der Stadt Jerusalem für das Schicksal Israels und nennt sie als Ereignisort seines Wiederkommens.

Und noch etwas Denkwürdiges: Als Paulus in Ephesus weilt (Apg 4, 24) nehmen ihm die Leute seine Schweiß- und Taschentücher vom Körper und legen sie Kranken und Besessenen auf, und diese werden gesund. Hätte es nicht genügt, die Predigt des Paulus zu hören und an Jesus zu glauben? Denn, so lesen wir im Römerbrief, der Glaube im Herzen an den Auferstandenen und das Bekenntnis mit unserem Mund, rettet uns (nach Röm 10, 9). Mussten also diese kultartigen

Handlungen sein?

Schwer zu sagen, aber eines wird klar: Gott nimmt diese scheinbar kindlichen Zeichen des Glaubens an und belohnt sie fürstlich, vielleicht deswegen, weil in dieser an sich sinnlosen Handlung die Kraft des Glaubens besonders deutlich werden kann. Also als Zeichen eines vitalen Glaubens, nicht etwa eines Aberglaubens an die Wirkung von Gegenständen.

Und noch ein Gedanke: Die Menschwerdung Gottes sollte doch von einer schrittweisen Angleichung des gläubigen Menschen an Christus gefolgt sein, eine Veränderung, die bis ins sogenannte Materielle hinein geschehen kann. Auch das ist biblisch, denn der Diakon Philippus wurde nach der Taufe des Äthiopiers vom Geist nach Ashdod entführt, ein Phänomen, das auch von Pater Pio berichtet wird. Dieser war auch stigmatisiert, was manche auch vom Apostel Paulus annehmen: Gal 6, 17: „Denn ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib.“ Ja, Martin Luther spricht von den „Malzeichen Jesu“; also auch er dachte offenbar an die sichtbaren Wunden des Herrn.

Die Andersartigkeit der physischen Existenz bemerken oft Tiere schneller als Menschen. Derartige Geschichten gibt es einige von Franz von Assisi; sie können nicht alle Legende sein.

Besonders schön finde ich den Bericht über sein Sterben, weil sich da ein Schwarm von Haubenlerchen auf dem Dach der Portiunculakapelle niederließ, wie ein Biograph berichtet. Das kann nicht erfunden sein, denn Haubenlerchen sind besondere und nicht so häufige Vögel.

Also Heiligkeit verändert die Materie und diese Veränderung strahlt aus auf die Umgebung, sogar auf Tiere und auch auf Gegenstände, die im Kontext des Glaubens zu Trägern der Heilung und des Segens werden können.

Die Reformatoren haben, sicher aus gutem Grund, die Bedeutung des Glaubens an sich betont, denn im ausgehenden Mittelalter war die Verehrung der Heiligen, ihrer Reliquien und den daraus entstandenen Wallfahrtsorten aus heutiger Sicht zu übermäßiger Bedeutung gelangt. Und ich betrachte es als gewaltige Abstraktionsleistung der Reformatoren, mit vier Imperativen den Blick auf die wichtigsten Glaubensinhalte zu lenken, ähnlich einer Kurzanweisung auf einem ewig langen Beipackzettel eines Medikamentes, wo in vier Punkten kurz gesagt wird, worauf es ankommt. Also, sie hätten bei unserem Thema gesagt: Sola fides! Nur der Glaube ist entscheidend.

Freilich, Glaube ist keine reine Kopfsache, er muss sich irgendwie zeigen, muss wirksam werden in der Liebe, sonst entsteht kein Reich Gottes. Ja, Paulus schreibt, die Liebe sei die Erfüllung des Gesetzes (Röm 13, 10). Und Liebe ist auch keine reine Kopfsache, sondern muss sich zeigen, sonst hat keiner was davon. Somit bricht die strenge Grenze zwischen Glaube und Werken nach meinem Empfinden an diesem Punkt zusammen und es lohnt sich nicht (mehr), darüber zu streiten.

Und die mehr oder weniger körperbetonte Art, diesen Glauben auszudrücken, ist auch nicht so wichtig: ob ich den Salbungsstein nur berühre oder mich darauf ausstrecke. Da kommen Mentalitäts- und Kulturfragen ins Spiel, die man augenzwinkernd oder lächelnd betrachten kann. Ja, man kann sich auch ein wenig hinterfragen lassen, ob man sich nicht, z.B. durch Menschenfurcht, eine gewisse kühle, nordische Art zugelegt hat. 

Mir scheint, dass im Zuge der reformatorischen Auseinandersetzung manches drastisch klar ausgedrückt wurde, was man sagen wollte, dass andererseits auch die Antwort schärfer ausfiel, als es optimal gewesen wäre, und so entstand eine Auseinanderentwicklung, die primär keiner wollte.

500 Jahre nach der Reformation könnten wir allmählich zu einer lächelnden Wiederfindung des Verlorenen kommen, ja der verloren Geglaubten, der Brüder und Schwestern, die man im Irrtum befangen wähnte und vielleicht mehr belächelt als angelächelt hat. Wir könnten wieder das Schöne an den Anderen entdecken und lieben lernen. Ich darf wieder einmal Gertrud von Le Fort zitieren: 

„Die Glaubensspaltung ist in letzter religiöser Schau weniger eine Spaltung des Glaubens als eine Spaltung der Liebe.“

Und „die Liebe schulden wir einander immer“. Damit sind wir wieder bei Paulus. Und den Taschentüchern. Wollen wir sie aufheben und die Tränen abwischen, die so viele Missverständnisse und Feindseligkeiten zwischen den Konfessionen verursacht haben?

Und wollen wir wieder wohlwollend lächeln übereinander und uns voneinander beschenken lassen. Wir suchen ja nicht eine sterile, langweilige Einheit, sondern eine belebende, bereichernde, ohne die Frage beiseite zu legen, welche Sicht der Dinge und Worte dem Herrn am meisten entspreche.

 

 

 

 

 

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